Sonntag, 16. September 2007

Urteile

Nachdem ich letzte Woche an dieser Stelle meinen Unmut über Presseberichte kundgetan habe, möchte ich heute ein paar Worte zu Urteilen verlieren. In der Presse und im Internet findet man häufig Äußerungen in Bezug auf Urteile. Diese werden dann noch kommentiert und am Ende kommt dann etwas heraus, was mit dem Urteil selber nichts mehr zu tun hat.

Deutsche Gerichte entscheiden keine abstrakten Rechtsfragen, sondern Rechtsstreitigkeiten, d.h. konkrete Fälle. Dass sie dabei auch mal grundsätzliche Rechtfragen klären müssen, liegt in der Natur der Sache. Man sollte aber im Auge behalten, dass es dabei stets um die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen konkreten Lebenssachverhalt geht. Und - wie der Kölner weiss "Jeder Jeck is anders" - und so kommt es praktisch selten vor, dass völlig gleiche Lebenssachverhalte zu entscheiden sind. Das sollte man bei der Lektüre von Urteilen immer im Kopf behalten, denn es kann zur Folge haben, dass Gerichte im Ergebnis ähnliche Sachverhalte unterschiedlich bewerten.

Ein gutes Beispiel dafür bietet die Rechtsprechung des VI. Zivilsenates des BGH zum Thema "Unfallersatztarife". Die zahlreichen Entscheidungen zu diesem Bereich zeigen sehr deutlich, dass ausgehend von einigen abstrakten Grundsätzen die Frage, ob ein Unfallgeschädigter, der ein Fahrzeug zu diesem sogenannten "Unfallersatztarif" anmietet, den dadurch verursachten Schaden beim Schädiger, bzw. regelmäßig dessen Haftpflichtversicherer, liquidieren kann, sehr von den Umständen des Einzelfalles abhängt, und die waren und sind sehr verschieden.

Ein weiteres darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man sich mit Urteilen beschäftigt: Der Instanzenzug. In unserem Gerichtssystem kommt gibt es eine ausgeprägte Aufgabenverteilung zwischen den Gerichtsinstanzen. Im Zivilprozess gibt es zunächst die Eingangsinstanz, die insbesondere deshalb entscheidend ist, weil sie nach der ZPO-Reform die einzige echte Tatsacheninstanz darstellt. Zumeist streiten die Parteien eines Rechtsstreits nämlich weniger über das Recht, als darüber, welcher Sachverhalt eigentlich zu beurteilen ist. Fehler, die die Parteien hier machen (vergessene Beweisangebote, fehlender Vortrag) lassen sich in der nächsten Instanz, der Berufungsinstanz, nur noch eingeschränkt korrigieren. Natürlich wendet auch der erstinstanzliche Richter das Recht mit großer Sorgfalt an, was man schon daran erkennen kann, dass wohl die Mehrzahl der erstinstanzlichen Entscheidungen rechtskräftig wird. Gleichwohl haben Entscheidungen erster Instanz selten grundlegende Bedeutung, denn wenn über ernsthaft bedeutsame Rechtsfragen gestritten wird, wird die unterlegene Partei fast immer versuchen, die nächste Instanz von der Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung zu überzeugen. Das sollte man im Auge behalten, wenn in der Tagespresse über eine angeblich grundsätzliche Entscheidung des Amtsgerichts Schnubbeldupp berichtet wird. In der Berufung geht es dann häufig schon etwas grundsätzlicher zu, auch weil diese zwar eine Tatsacheninstanz ist (also grundsätzlich auch hier noch über streitige Fragen Beweis erhoben wird), aber eben nur noch recht eingeschränkt, nämlich wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung fehler- oder lückenhaft ist. Da wir in Deutschland zumeist sorgfältig arbeitende Richter haben, ist das eher der Ausnahmefall. Grundstzliche Bedeutung hat von der Funktion her die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, denn dieser kontrolliert letztlich die Rechtsanwendung und hat auch die ausdrückliche Aufgabe, für eine einheitliche Rechtsprechung zu sorgen.

Schließlich sollte man bevor man eine Entscheidung kommentiert die Entscheidung selber mal gelesen haben. Ansonsten kommt es zu Kommentaren nach dem "Stille-Post"-Prinzip. Das ist heute einfacher denn je, denn die Entscheidungen deutscher Gerichte sind - soweit sie über den Einzelfall hinaus Bedeutung haben - zumeist im Internet abrufbar. Entscheidungen nordrhein-westfälischer Gerichte findet man z.B. in der Datenbank NRWE (zugänglich über die Seiten des Justizministeriums unter "Rechtsblbliothek - Rechtsprechung Nordrhein-Westfalen"), die Enscheidungen des BGH auf dessen Internetseiten. Am einfachsten findet man die gesuchte Entscheidung übrigens, wenn man das Aktenzeichen kennt.

(Fortsetzung folgt)

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